Depressive Cop
Originaltitel: Depressive Cop__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Bertrand Mandico__Darsteller: Elina Löwensohn, Serguei Ivanov u.a. |
Man munkelt ja, dass Nicolas Winding Refn sich darauf vorbereitet, William Lustigs „Maniac Cop“ neu anzugehen. Vielleicht sollte er zur Vorbereitung nicht nur den New-York-Slasher studieren, sondern in der Kaffeepause zwecks Horizonterweiterung auch mal einen Blick auf das Insel-Psychodrama „Depressive Cop“ werfen.
Bertrand Mandico spinnt binnen 12 Minuten wahnwitzige symbolische Verknüpfungen, die an der melancholischen Titelfigur wie weißes Rauschen vorbeiziehen. Spurensuche, Zeugenbefragung, all das wird gesteuert durch die Augen einer trostlosen Maske der Unbeweglichkeit, die kaum mehr Emotionen sichtbar macht als die konturlose Maske des Michael Myers.
Dabei fördert das grieselige Grau-in-Grau der schottischen Küste allerhand Geheimnisvolles zutage, das an die Tage des Verschwindens von Laura Palmer erinnert. Elina Löwensohn scheint der Schlüssel zu allen Rätseln zu sein; von ihr gehen nicht nur sämtliche Monologe aus, sondern auch alle surrealen Mutationen des Drehbuchs: Vom Auge im Kaffeebecher bis zum Buch vor dem Kopf. Typisch für Mandico ist die verwendete Symbolik grobschlächtig, effekthascherisch und ein wenig prätentiös, durch die kreative Bildmontage und die Verlinkung mit dem betäubenden Soundtrack (inklusive Party-Szene mit mindestens einem Aphex-Twin-Kenner) entsteht aber eine Stimulation von Sinnesreizen, die man als Freund verschrobener Lynchismen nur genießen kann.
Any Virgin Left Alive?
Originaltitel: Y a-t-il une vierge encore vivante?__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2015__Regie: Bertrand Mandico__Darsteller: Elina Löwensohn, Eva Maloisel, Olmo Mayakoff u.a. |
Mandicos Meditation über den weltlichen Verlust der Unschuld schreckt nicht einmal davor zurück, französische Volkshelden zu entmystifizieren. Jeanne D’Arc, die im Alter von 19 Jahren einen schrecklichen Tod fand und posthum heilig gesprochen wurde, wird zum rastlosen Geist uminterpretiert. Von einem Hengst entjungfert, sei sie längst keine Unberührte mehr, und je länger sie durch die Wälder streift, desto mehr wird ihr Geist von den Gräueln verdunkelt, mit denen sie auf ihrer Reise konfrontiert wird.
Wie üblich scheut der Regisseur zur Realisation dieser alternativen Geschichtsschreibung keine Mühen, um üppige Bildkompositionen zu erschaffen, die vor Fantasie nur so strotzen. Selbst in einem 9-minütigen Kurzfilm kommen so eine Menge bleibender Eindrücke zusammen: Ein festlich gedeckter Tisch etwa, auf dem das obere Viertel einer Leiche verrottet, phallische, Saft verspritzende Bäume, die später auch in „The Wild Boys“ wieder aufgegriffen werden sollten, glotzende Augen, die mitsamt Sehnerv in der Luft schweben und Voyeurismus an nackten Jungfrauen betreiben, die regungslos im Wald stehen wie exotische Pflanzen. Mittendrin einmal mehr Elina Löwensohn als Wanderin mit bronzefarbener Haut, die ihre obskuren Beobachtungen in ein Klagelied französischer Poesie verpackt. Da erscheint die Stimmung, die der Märchenerzähler aus dem Off (Thomas Arnold, mit einer Stimmfärbung wie Sir Patrick Stewart) verbreitet, wie bitterer Zynismus – erst recht, wenn er die Protagonistin als „Joan the Slut“ bezeichnet.
Die Frage aus dem Titel wird auch diesmal mit der Brechstange beantwortet, aber über die visuelle Opulenz kann man kaum hinwegsehen.
Our Lady of Hormones
Originaltitel: Notre-Dame des Hormones__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2014__Regie: Bertrand Mandico__Darsteller: Elina Löwensohn, Nathalie Richard, Agnès Berthon, Michel Lebayon, Stéphane Bellenger, Benjamin Chapelot, Maud Curassier, Julie Van Herpé u.a. |
Nach „Boro in the Box“ (2011), einer fiktiven Filmbiografie über den polnischen Regisseur Walerian Borowczyk, ist „Notre-Dame des Hormones“ der zweite Kurzfilm von Bertrand Mandico, der höhere erzählerische Ambitionen zu erkennen gibt. Mit einer Gesamtspielzeit von über 30 Minuten ist nicht mehr jede einzelne Sekunde bis ins Detail arrangiert, wie in seinen 10-Minütern. Dauer-Muse Elina Löwensohn bekommt mit Nathalie Richard eine zweite Hauptfigur zur Seite gestellt, so dass sich der filmische Monolog zu einem Dialog entwickelt, was wiederum Raum öffnet für Dynamik und Improvisation im Zusammenspiel der beiden Frauen.
Was natürlich nicht bedeutet, dass nicht auch dieses Werk bis zum oberen Rand behangen ist mit glitzernden Juwelen und kruden Organen. Ein Landhaus in einer wuchernden Dschungelwelt dient als Requisite. Nackte Statisten stehen als Dekorelement oder Einrichtungsgegenstand in der Gegend herum, im Wald kann auch mal ein gigantisches Auge liegen. Durch all den Zierrat und die surrealistische Gestaltung des Hauses fühlt man sich ein Stück weit an den griechischen Experimentalfilm „Singapore Sling“ erinnert, nur dass diesmal alles in Farbe erblüht, als solle die Fruchtbarkeit der brütenden Luft betont werden.
Mandico beschreibt in der ihm eigenen Art eine polyamore Beziehung zwischen den beiden Frauen und einem haarigen Fleischsack mit Stiel, bei dem es sich offenbar eine Objektifizierung des männlichen Geschlechts handelt. Bei dem kümmerlichen Ding könnte es sich genauso gut um eine Requisite aus einem Cronenberg-Film der „Videodrome“-Ära handeln. Die Eifersucht der Frauen aufeinander sorgt als Antrieb für die schnell eskalierende Handlung, die sich zunehmend in einen eskalierenden Alptraum verwandelt.
Diesen illustriert Mandico wie gewohnt kreativ vielseitig: Gigantische Rückprojektionen bäumen sich unmittelbar vor den klein wirkenden Darstellern auf, schrille Zwischensequenzen lassen das Adrenalin in die Höhe schießen. Gerade weil Mandico erste Versuche mit der Analyse von Gruppendynamiken macht und sich zudem des Themas hormoneller Veränderung (im Sinne von Gender-Fluidität) annimmt, wirkt „Notre-Dame des Hormones“ wie die Blaupause für „The Wild Boys“ und nimmt entsprechend viele von dessen Qualitäten bereits vorweg.
Prehistoric Cabaret
Originaltitel: Prehistoric Cabaret__Herstellungsland: Frankreich / Island__Erscheinungsjahr: 2013__Regie: Bertrand Mandico__Darsteller: Elina Löwensohn, Katrín Ólafsdóttir u.a. |
Wenn der Conférencier das Publikum anheizt, stellt sich das Kopfkino ein. Seine Worte machen die dargestellten Formen größer und bedeutungsvoller. Elina Löwensohn übernimmt diese Rolle in Mandicos Kurzfilm „Prehistoric Cabaret“, um dann fliegend in die Rolle der Performerin zu schlüpfen. Sie wechselt also von der Objektbewerterin in die Rolle des Objekts, nur um schließlich wieder in die bewertende Perspektive zurückzukehren und festzustellen, dass sie benutzt, ja regelrecht ausgehöhlt wurde…
Bertrand Mandico verwendet die Kunstform des Kabarett als Gleichnis auf die weibliche Sicht vor, während und nach eines Akts sexueller Ausbeutung. Symbolik ist nur noch in einem geringen Maße vonnöten, denn was auf der Bühne geschieht, ist auch ohne vorherige Übersetzung von einer Form in die andere relativ offensichtlich. Die Hauptrollen spielen ein Rock mit Aussparung am Hinterteil und ein längliches Objekt mit harter, runder Glaskuppel (inklusive eingebauter Kamera) und flauschiger Verlängerung. Dieses Objekt verbindet das Phallische und das Sehende in einer Form, wodurch sich der Voyeurismus als physisches Mittel der Penetration qualifiziert. Was das „Prehistoric“ im Titel zu suchen hat, ist nun klar: Es geht um die primitive Befriedigung von Trieben, die dem Verlauf des Films zufolge in der Suche nach dem Existenziellen beginnen, nur um am Ende profan an der anderen Öffnung wieder hervorzukommen und einen endlosen Kreislauf in Gang zu setzen. Oder, um es in Mandicos Sprache auszudrücken: Es ist eine rotierende Schallplatte, die mit Ketchup bespritzt wird.
In gewisser Weise wäre das aufgeblasener Kunstquatsch, würde man in dem verqualmten, beleuchtungsarmen, grobkörnig in Szene gesetzten Etablissement nicht hin und wieder ein Augenzwinkern der alten Männer in billigen Anzügen erhaschen, die um den Tisch versammelt sitzen und sich die Show ansehen – aber auch in der erfrischend trockenen Darbietung der Hauptdarstellerin und vor allem in der Inszenierung, die so widerstandslos Richtung Abspann flutscht wie die Glaskugel durch die Eingeweide.
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