„Einerseits finde ich, er ist das Letzte. Ein Wilderer, der Elefanten erschießt wegen ihrer Stoßzähne. Er ist der Wachmann in Auschwitz, der Menschen ohne mit der Wimper zu zucken in den Tod schickt. Ein gewissenloser, brutaler Kerl, dem es nur ums Geld geht. Auf der anderen Seite ist er in manchen Dingen bewundernswert. Er hat Mut. Er ist bereit zu töten und selbst zu sterben.“
Die Rede ist von Frank Kitchen. Einem eiskalten Profikiller. Der bei seinem letzten Auftrag unwissentlich eine Grenze überschreitet. Als er nämlich einen Typ tötet, der sich bei Franks Auftraggeber Geld geliehen und selbiges nie zurückgezahlt hat, mutiert dessen Schwester zur Rachefurie. Sie lockt Frank in eine von langer Hand vorbereitete Falle. Und die schnappt irgendwann gnadenlos zu.
Als Frank nach dem Angriff wieder zur Besinnung kommt, ist er ein anderer. Oder besser: EINE andere. Denn die Schwester seines letzten lukrativen Abschusses ist eine brillante Schönheitschirurgin und auf Geschlechtsumwandlungen spezialisiert. Und die hat aus dem Supermacho und Frauenhelden Frank eine Frau gemacht. Frank kommt mit dieser Veränderung lange Zeit gar nicht klar und ersäuft seine Ratlosigkeit im Alkohol.
Doch er wird wieder in die Spur finden. Dann wird es darum gehen, sich zu revanchieren und offene Rechnungen zu begleichen…
Walter Hill und die Suche nach Verwertungsmöglichkeiten für seine Drehbücher
Was macht man, wenn man coole Drehbücher in seinem Schreibtisch geparkt hat, sich aber entweder keine Finanziers für die filmischen Umsetzungen finden lassen oder große Studios abwinken, weil man nicht mehr in die Sequel- und Prequel-Maschinerie der Traumfabrik passt? Dann muss man erfinderisch werden. Walter Hill hat für sich einen Weg gefunden. Bei seinem Drehbuch zu „Querschläger“ schloss er sich mit den Comickünstlern Matz (Text) und Jef (Zeichnungen und Kolorierung) zusammen und ließ seine Story von denen in eine Hardboiled Graphic Novel gießen.
Beinahe schien es bei Hills Drehbuch zu dem Film „The Assignment“, der auch als „(Re)Assignment“ und „Tomboy“ firmiert, ähnlich zu laufen. Denn als Walter Hill gebeten wurde, nach dem Erfolg von „Querschläger“ eine weitere Graphic Novel nachzuschießen, wählte er ebenjenes Drehbuch als geeignet aus. Erneut bat er Matz und Jef, dieses als Graphic Novel unter dem Titel „Tomboy“ aufzubereiten. Gleichzeitig befand Produzent Said Ben Said, dass dieses Drehbuch verfilmt werden müsse. Er machte Hill diverse strenge Vorgaben, darunter ein wahrhaft niedriges Budget, half ihm aber, seine Vision für die große Leinwand aufzubereiten. So entstanden quasi parallel zwei Versionen der gleichen Vorlage.
In fast allen Belangen ist dabei die Graphic Novel dem Film weit überlegen. Schauen wir doch einmal bei den zwei offensichtlichsten Aspekten genauer hin:
Die Story von “Tomboy” als Film und Graphic Novel
Sowohl Film als auch Comic setzen natürlich auf denselben Clou: Ein Macho, wie er im Buche steht, wird von seiner Nemesis zur Frau umgewandelt. Was andere Drehbuchautoren vermutlich genutzt hätten, um das Machothema Profikiller mal anders aufzuziehen und mit Klischees und Genderrollen zu spielen, ist bei Hill kaum mehr als die Grundlage für einen taffen Actionthriller, dem sämtliche ironische Brechungen oder tiefergehende Auseinandersetzungen mit Genderfragen vollkommen abgehen. Sowohl im aus dem Drehbuch resultierenden Comic als auch im Film ist die Geschlechtsumwandlung von Frank kaum mehr als ein Gimmick. Ein Gimmick, das im Pulp der Story schnell absäuft und reichlich klischiert gereicht wird. Harsche Kritik aus der Transgender-Community war die alles andere als unberechtigte Folge.
Ein großes Problem für Walter Hill: Gerade in seiner Verfilmung gerät die Umsetzung der grundlegenden Prämisse auch noch vollkommen grotesk. Die Idee, Michelle Rodriguez Frank Kitchen sowohl als Mann als auch als Frau spielen zu lassen, ist keine gute gewesen. Klar, Michelle Rodriguez mit langem Prothesen-Schwanz und nett getrickstem behaarten Oberkörper ist ein wirklich wundervoll verstörender Anblick, aber vor allem rund um die Gesichtszüge wirkt Rodriguez als männlicher Frank eher wie RTL-Dschungelkönig Menderes. Was nicht dabei hilft, die Story-Prämisse ernstzunehmen. Zumal man Rodriguez’ Frank das Taffe überhaupt nicht abnimmt. Ganz im Gegenteil zum Comic-Frank. Der ist ein Schönling durch und durch. Ein Typ mit androgynen Zügen, der sich seiner Männlichkeit aber dennoch voll bewusst ist und diese auch auslebt. Der Geschlechtswechsel ist im Comic daher weitaus schockierender als im Film und funktioniert hier auch besser.
Zudem setzen Matz und Jef auch die Desorientierung ihres Charakters interessanter und nachvollziehbarer um. Während Frank in Walter Hills Film beinahe sofort in den Rachemodus schaltet, verliert er im Comic vollkommen die Spur. Er wird mehrfach verprügelt und überfallen. Landet mittellos auf der Straße und arbeitet sich mithilfe eines Pfarrers aus der Misere heraus. Erst dann beschließt er, der Schönheitschirurgin in die Suppe zu spucken.
Apropos: Weil diese im Film von Sigourney Weaver gespielt wird und mit Tony Shalhoub einen prominenten Widerpart spendiert bekommen hat, wird die Rolle dieser Figur im Film doch deutlich ausgebaut. Weavers Auftritte rahmen ihn als erzählerische Klammer und reißen immer wieder aus dem eigentlichen Geschehen heraus. Der Comic involviert die Ärztin da deutlich anders. Legt auch nicht sofort alle Karten auf den Tisch und offenbart nicht sofort, wie die Chirurgin mit Frank verbandelt ist.
Neben diesen wirklich deutlichen Unterschieden gibt es auch im Detail interessante Variationen. So unterscheidet sich das Schicksal von Franks Freundin Johnnie in Comic und Film doch deutlich. Ein weiterer auffallender Unterschied ist, dass Matz und Jef bei der Aufarbeitung von Hills Drehbuch mit deutlich stärkerer Erotik-Komponente zu Werke gehen. Damit unterstreichen sie auch das eigenwillige Verhältnis von Frank zu seinem neuen Körper.
Der akzeptiert selbigen so gut wie gar nicht und daher ist es ihm auch scheißegal, ob ihm ständig die Brüste aus dem Ausschnitt springen oder nicht. Auch diese Überbetonung von Franks Ablehnung des Frauseins, das ihm hier ja auch noch gewaltsam aufgedrückt wurde, wurde teilweise heftig in Transgenderkreisen kritisiert.
Auch die Beziehung zwischen dem weiblichen Frank und seiner Johnnie funktioniert im Comic anders als im Film. Diese ist in der Graphic Novel weitaus saftiger und expliziter geraten, weshalb die im Film gar nicht wirklich zur Sprache kommende Anziehung zwischen beiden Frauen im Comic ein interessanter Nebenaspekt der Story ist. Eine Schwäche ist beiden Umsetzungen gemein: ALLE Figuren sind doch extrem oberflächlich gezeichnet.
Die Präsentation von “Tomboy” in Film und Graphic Novel
Bei der Präsentation sieht der Billigfilm „Tomboy“ keinen Stich. Klar, Walter Hills versierte Regie lässt den Film nicht vollends zum Rohrkrepierer werden, aber das extrem limitierte Budget sieht man „Tomboy“ definitiv häufiger an. Auch und vor allem in der meist saft- und kraftlosen Action. Letztere ist auch im Comic eher eruptiver und kurzer Natur, hat allerdings spürbar mehr Impact und Wucht. Vor allem in den Ballereien meint man die für Hill typischen Ballergeräusche der Berettas förmlich zu hören.
Dazu kommen die wundervollen Bilder von Jef. Der ist vor allem in den Straßen von San Francisco beinahe fotorealistisch unterwegs, was er dann durch eine interessante, immer leicht verwischt wirkende Farbgebung wieder ein wenig entrückter zu gestalten versucht. Auch ein paar sehr grotesk geratene Figuren arbeiten dem Fotorealismus entgegen. Dank der überwiegend warmen, meist bräunlich gehaltenen Farbgebung wirkt der Comic optisch mehr wie ein Walter-Hill-Film als es Walter Hills Film tut. Eine erstaunliche Wirkung des ohnehin sehr filmisch rüberkommenden Artworks. Zudem kommt „Tomboy“ in einem angenehm großen Format daher, was es noch leichter macht, in dem Artwork zu versinken.
Ein Stilmittel in Walter Hills Verfilmung ist vor dem Hintergrund der hier dargestellten Doppel-Verarbeitung seiner Story-Vorlage sehr interessant: Diverse Überblenden in seinem Film präsentiert Hill als comiceske Standbilder! Zwar kommen diese dem Stil der Graphic Novel nicht einmal ansatzweise nahe, dennoch wirkt es wie ein Gruß an Jef und Matz.
Gegen die Graphic Novel sieht der Film “Tomboy” alt aus
Ein Drehbuch, zwei verschiedenen Herangehensweisen. Die Graphic Novel von Jef und Matz zieht besser in ihre Welt hinein, sieht deutlich schöner aus, ist packender und spannender geschrieben und deutlich kurzweiliger als die teils doch ziemlich zerlaberte Filmumsetzung. Die krankt in gewisser Weise schon an der Umsetzung der Grundidee. Denn die gewaltsame Geschlechtsumwandlung von Frank ist hier kein wirklich schockierender Twist, sondern vielmehr eine „Wohltat“. Vor allem weil Michelle Rodriguez zu Beginn des Filmes als männliche Hauptfigur einfach zu grotesk anzuschauen ist. Man nimmt ihr die Figur nicht ab.
Schön an der filmischen Umsetzung ist zumindest, dass Michelle Rodriguez keine Angst vor den häufigen Nacktszenen hatte, wenngleich sogar die im Comic viel schöner und stilvoller geraten sind. Interessant ist zudem, dass Matz und Jef bei der Erstellung der Graphic Novel wohl schon von der Verpflichtung von Michelle Rodriguez und Sigourney Weaver wussten und darum deren Figuren optisch recht nah an beide Aktricen anlehnten.
Ansonsten bleibt zu konstatieren, dass „Tomboy“ sowohl als Film als auch als Graphic Novel der pure Pulp geworden ist, der aktuell heiß diskutierte Themen höchst exploitativ ausschlachtet und dabei größtenteils wenig Feingefühl beweist. Im Bewusstsein dessen bietet die Graphic-Novel-Version zumindest flotten Lesespaß und ist dem Film unterhaltungstechnisch einiges voraus.
“Tomboy” als Film | “Tomboy” als Graphic Novel |
Alle Informationen zur Graphic Novel “Tomboy”
Während der Film trotz Starbesetzung nach wie vor nicht in Deutschland veröffentlicht wurde, aber beispielsweise in Großbritannien erworben werden kann, ist die Graphic Novel schon länger auf dem deutschen Markt. In einem edel aufgemachten Hardcover veröffentlichte der Splitter-Verlag die Arbeit von Jef und Matz.
Tomboy
von Walter Hill (Autor), Matz (Autor), Jef (Zeichner)
Gebundene Ausgabe: 128 Seiten
Verlag: Splitter-Verlag; Auflage: 1., (1. Dezember 2016)
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 978-3958394148
In diesem Sinne:
freeman