Originaltitel: Tulsa King – Season 1__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Allen Coulter, Ben Richardson, Ben Semanoff, Guy Ferland, Lodge Kerrigan__Darsteller: Sylvester Stallone, Andrea Savage, Martin Starr, Jay Will, Max Casella, Domenick Lombardozzi, Vincent Piazza, A.C. Peterson, Garrett Hedlund, Dana Delany, Dashiell Connery, McKenna Quigley Harrington, Barry Corbin, Hartleigh Buwick, Tatiana Zappardino, Miles Mussenden, Chris Caldovino u.a. |

Das Cover der DVD von „Tulsa King – Staffel 1“.
Es war einmal in Tulsa
New York City. Nichts läuft ohne die strategisch vorteilhaft platzierte Metropole an der Ostküste, die als Handelszentrum von immenser nationaler wie interkontinentaler Bedeutung ist. Vorzüge, die gerade auch für den Mafioso mit Herrschaftsansprüchen von Belang sind. Einmal der Goodfella sein, der King of New York, der Pate, einmal selbst zum Synonym für den Big Apple werden. Dabei ist schnell vergessen, dass es in der Peripherie noch Abertausende Quadratkilometer voller unerschlossener Geltungsbereiche gibt. Manche würden es Kevin-Costner-Land nennen. Andere nennen es inzwischen auch Taylor-Sheridan-Land.
Sheridans gesamtes filmisches Schaffen dreht sich bislang um das amerikanische Grenzland, fern der asphaltierten Millionenstädte, bedeckt von Wiesen, Präriestaub oder Schnee. Wenn also das Scorsese-Coppola-Gesetz schon besagt, dass jede Gangsterstory in New York beginnen muss, so kann Sheridan zumindest dafür sorgen, sie um 1.400 Meilen ins Landesinnere hinein zu verlagern, so wie diesmal nach Tulsa, Oklahoma.
Es ist nicht die erste Serie, in der ein Capo gewaltsam von seinem New Yorker Rumpf getrennt und ins Nirgendwo geschleudert wird. „Sopranos“-Darsteller Steven Van Zandt fand sich Anfang der 2010er Jahre sogar im norwegischen Lillehammer wieder, als er einen Gangster im Zeugenschutzprogramm spielte („Lilyhammer“, 2012 – 2014). Die Parallelen sind unübersehbar, nicht nur, was die Routenplanung von der Großstadt zum Außenposten angeht. Es ist die übergeordnete Philosophie der (fast) gewaltlosen Aneignung, die Tulsa und Lillehammer fortan zu Partnerstädten erklärt, mündend in der stark gealterten, herb gereiften Gestalt ihres ungewöhnlichen Hauptdarstellers: Sylvester Stallone.
Actionstars in Serie
Stallone („Rambo“), wie unlängst sein Gegenstück Arnold Schwarzenegger („Fubar“, 2023 – ?) erstmals Zugpferd einer TV-Serie, hat als Dwight „General“ Manfredi tatsächlich mehr Ähnlichkeit mit Van Zandt als mit seinen eigenen Paraderollen der Vergangenheit, obschon sich die von ihm transportierten Werte mühelos mit seiner Persona vereinbaren lassen, die in Hollywood für das Traditionelle und Altbewährte steht. Loyalität ist es, die Dwight für sich beansprucht, nachdem er für seinen Clan ein Vierteljahrhundert im Gefängnis geschmort hat, nur um nach seiner Rückkehr zu erkennen, dass sich die Welt verändert hat. Einen Faustschlag und einen angewiderten Gesichtszug später ist die Saat gesetzt für eine neu entflammte Erzfeindschaft auf Distanz, die mutmaßlich als roter Faden durch den Story Arc der Serie führen wird, gefolgt von einer mit viel Trotz angenommenen neuen Herausforderung im Inneren des Landes.
Die Titelsequenz visualisiert den sich anbahnenden Culture- und Era Clash mit harten Kontrasten. Tulsas Golden-Driller-Statue leiht ihren Körper der Freiheitsstatue, der Sioux-Indianer Touch the Clouds, dessen Monument normalerweise über Edmond wacht, thront über der Brooklyn Bridge, Ackerland behauptet seinen Platz inmitten der Wolkenkratzer rund um den Times Square. Es sind Blau-Gelb-Negative, die einen Vorgeschmack geben auf die kantige Methodik, mit der sich Dwight im Laufe der ersten neun Episoden eine ganze Stadt zu eigen macht, ohne sich selbst dafür auch nur einen Millimeter krümmen zu müssen.
Digital Detox: Nur Bares ist Wahres
„Tulsa King“ ist als eine radikale Form von Entschleunigung einer sich immer schneller drehenden Welt konzipiert. Stallone liefert die Hand, die einen Globus bremst, dessen Drehung zu viel Schwung bekommen hat, und Tulsa ist der Punkt, auf dem Stallone seine Finger auflegt. Nicht umsonst tönt fortwährend Country-Musik aus den Autolautsprechern oder von der Bühne der lokalen Bar, und wenn hier Geldgeschäfte über Smartphone-Apps erfolgen, braucht es keinen Stallone, damit etwas schief wirkt in der vermeintlich friedlichen Idylle.
Die Autoren lassen den Motor warm laufen, indem sie den Protagonisten mit Ankunft am Flughafen umgehend auf Handlanger-Ernte schicken. Chauffeure (Jay Will), Buchhalter (Martin Starr) und Geschäftspartner (Garrett Hedlund) hat Dwight in Windeseile um sich geschart; die Hürden, auf die er dabei stößt, wünscht er einfach in die Wüste, indem er seinen Blick abwendet oder sie notfalls mit Dollarscheinen bewirft. Bei der systematischen Übernahme unzähliger Geschäfte hat man sich wohl einerseits bei den großen Mafia-Klassikern, andererseits aber sicherlich auch bei „Ozark“ (2017 – 2022) einiges abgeguckt, auch wenn die Netflix-Krimiserie wesentlich stärker darum bemüht war, die komplizierten ökonomischen Abläufe und die sich daraus ableitenden Problemstellungen transparenter zu machen, wohingegen Dwight offensichtlich einen Dukatenesel in der Garage geparkt hat, der immer angezapft werden kann, wenn der Handlung der Treibstoff ausgeht.
Der im Krimi-Genre verortete, zwischen Drama und Komödie pendelnde Plot hat es also nicht auf einen realistisch anmutenden Einblick in krumme Geschäfte abgesehen, sondern ähnlich wie Wegbereiter „Lilyhammer“ auf einfach gestricktes Kulturschock-Entertainment, nur dass „Tulsa King“ die Mischung nicht ganz so gut hinbekommt wie das heimliche Vorbild.
Stallone liefert
An Stallone liegt es nicht. An die allerbesten Schauspielleistungen seiner Karriere kann er zwar nicht anknüpfen, weil schon seine Figur nicht genug Tiefe birgt, dennoch werden alle Blicke unweigerlich von seiner über Jahrzehnte gereiften Präsenz absorbiert. Mit Blick auf die Komplikationen der uns bekannten digitalisierten Welt hat die Serie es offensichtlich vor allem darauf abgesehen, ein Ventil anzubieten, indem gezeigt wird, wie die umständliche Lebensrealität der Gegenwart mit den einfachen Handgriffen eines unverwüstlichen Dinosauriers ausgehebelt werden kann.
Der Pragmatismus, mit dem Dwight sein erstes Ziel, eine Marihuanaapotheke, angeht, um Minuten später bereits den Anspruch auf 20 Prozent der Einnahmen geltend gemacht zu haben, verschafft dahingehend ebenso effektiv wie zuverlässig Befriedigung. Dass sich der Besitzer der Apotheke im Laufe der Handlung nicht etwa zu einem Feind, sondern zu einem von Dwights größten Verbündeten entwickeln wird, dass es dem Neuen in der Stadt also gelingt, durch sein rüpelhaftes Verhalten eine neue, durchaus herzliche Lebensrealität zu schaffen und Tulsa in Klein-New-York zu verwandeln, fühlt sich an wie der Nachweis, dass die alternativlos wirkenden Zwänge der gesellschaftlichen Ordnung im Endeffekt nur Barrieren im Kopf sind.
Schaut in den Trailer zu „Tulsa King – Staffel 1“
Das Drehbuch hakt
In Probleme geraten die Autoren, wann immer sie den roten Faden um die zentrale Fehde zwischen Dwight und seinen ehemaligen Verbündeten anpacken müssen. Ungelenk jonglieren sie mit etlichen Subplots, die den Nebenfiguren einerseits Tiefe geben und andererseits die Haupthandlung antreiben sollen. Dazu gehört ein Vater-Sohn-Konflikt zwischen Dwights jungem Assistenten und seinem Vater, eine verzwickte Affäre zwischen Dwight und nicht nur einer, sondern gleich zwei Frauen (von denen eine zu allem Überfluss auch noch ATF-Agentin ist) und nicht zuletzt die Beziehung zwischen Dwight und seiner Tochter (Tatiana Zappardino), die binnen einer Staffel von Funkstille auf Versöhnung gepeitscht werden soll – ganz zu schweigen von den Bandenkriegen und Geschäften, die den Alltag in Tulsa erst bestimmen, seit der General eingekehrt ist, wie eine der besten Nebenfiguren, gespielt von Martin Starr, in einem seiner vielen erstaunlich hellen Momente (jedenfalls für einen Dauerkiffer) reflektierend feststellt.
Diese und weitere Stränge greifen selten bis nie harmonisch ineinander und sind daher auch nicht dazu in der Lage, Entwicklungen auf natürlichem Wege herbeizuführen, also werden sie in der gebotenen Kürze – kaum eine Episode schafft es ohne Vor- und Nachspann inklusive Vorschau über die 40-Minuten-Marke – erzwungen. Gerade bei Figuren wie dem von Domenick Lombardozzi gespielten Sohn der Invernizzi-Familie und späteren Antagonisten, der von seinem Vater in seinem aufbrausenden Temperament immer wieder klein gehalten wird, machen sich diese Drehbuchprobleme negativ bemerkbar, sägen sie doch an der Glaubwürdigkeit der Figuren.
Inszenatorisch schmiegt sich die von fünf Regisseuren (meist jeweils als Doppelfolge) bebilderte Produktion in die Riege der unauffälligen Hochglanzserien mit gediegenem Tempo, die vor allem durch ihr Setting an Charakter gewinnen. Der Charme von Tulsa ergibt sich aus dem Nebeneinander von weiten, offenen Flächen und den hoch in den Himmel ragenden Symmetrien seiner charakteristischen Art-Déco-Bauwerke. Gelegentlich wird die nüchterne Romantik des mittleren amerikanischen Südens auch mal mit einer dezenten Note Surrealismus aufgebrochen, wenn Dwight etwa im „Center of the Universe“ in der Innenstadt einen Monolog mit sich selbst führt oder wenn ein weißes Pferd herrenlos durch die Stadt galoppiert. Sogar eine Rückblende in Stallones Cop-Land-Tage (anno 1997) wird geboten, inklusive mäßig überzeugender De-Aging-Effekte, deren Mängel durch die Beleuchtung nur unzureichend kaschiert werden. Aber auch diese Momente werden leider nur unzureichend mit der Tagesordnung verwoben und verpuffen so ein wenig im Nichts.
Für Stallone-Fans ist „Tulsa King“ einen Blick wert
Da ist es kaum nötig, zu betonen, dass Stallone wohl der beste Grund ist, in „Tulsa King“ einzuschalten. Der Hauptdarsteller dreht noch einmal ordentlich auf und erweitert sein Repertoire als Schauspieler um eine weitere interessante Facette. Im Gegensatz zu „Fubar“ mit Schwarzenegger steht die Gangsterserie ohne ihren Hauptdarsteller auch nicht völlig nackt da, sondern liefert mit Mastermind Taylor Sheridan zumindest noch ein weiteres Argument dafür, dass sich das Einschalten lohnen könnte.
Schade nur, dass der Stoff nicht gerade zur Speerspitze im Sheridan-Universum gehört. Es fehlt einfach der Druck hinter den Figuren, der nötig wäre, damit sie ihre Geschichte praktisch selbst schreiben. Auch wenn in der Abschlussfolge noch einmal ein kleines Fass aufgemacht wird und man sich die Eskalation der Fehde zwischen Dwight und den Invernizzis offensichtlich für die zweite Staffel aufgespart hat, wird die Luft bereits dünn. Es sei denn, man tritt nun endlich ein wenig aufs Gas und geht in die Vollen.
Knappe:
Im November 2022, rund einen Monat, bevor Paramount+ in Deutschland startete, feierte „Tulsa King“ auf der US-Plattform seinen Streaming-Start. Die deutsche Auswertung folgte dann im März 2023. Alternativ lässt sich die Serie auch über andere Streaming-Anbieter kaufen. Anhänger physischer Medien können sich zumindest mit einer DVD-Auswertung trösten; wer eine Blu-ray bevorzugt, muss sich hingegen im Ausland umsehen.
Sascha Ganser (Vince)
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder und Screenshots/Label: Paramount Pictures Home Entertainment__FSK Freigabe: ab 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein / Ja |