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Tyson

Für den Pay-TV-Sender HBO drehte Uli Edel das Biopic „Tyson“, welches das Leben des Schwergewichts-Champs von seiner Jugend bis zu seiner Verhaftung wegen Vergewaltigung beleuchtet. Der kampfsporterprobte Michael Jai White spielt die Hauptrolle, die hier ambivalent angelegt ist, als Familienmensch auf der Suche nach dem Glück, aber mit Aggressionsproblemen.

Originaltitel: Tyson__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1995__Regie: Uli Edel__Darsteller: Michael Jai White, George C. Scott, Paul Winfield, James Sikking, Malcolm-Jamal Warner, Tony Lo Bianco, Clark Gregg, Holt McCallany, Kristen Wilson, Sheila Wills, Regal Hanley, Michael Jace u.a.
Tyson

Michael Jai White spielt den Champ in Uli Edels Biopic “Tyson”

Nicht nur mit seinen Serien hatte HBO schon früh den Finger am Zeitgeist, auch die Filme des Pay-TV-Senders wussten oft Stimmungen einzufangen. So etwa auch „Tyson“ – ein Biopic über den Champ im Schwergewicht, das herauskam, als Iron Mike gerade seine Haftstrafe wegen Vergewaltigung abgesessen hatte.

Der Zeitpunkt war günstig für eine Bestandsaufnahme, denn niemand wusste, ob und wie Mike Tysons Boxkarriere weitergehen würde, und außerdem bot das Leben des Boxers eh schon so viel Material, das man es in Spielfilmlänge nicht komplett abhandeln konnte. So werden die Jugendjahre des New Yorker Problemkindes nur ganz kurz angerissen – das Leben bei der alleinerziehenden Mutter, die Pflege von Tauben, ein Zwischenfall, bei dem Mike als kleiner Steppke mit einem Revolver auf eine andere Gang schießt. Dies ist genau der Grund, warum Tyson dann als schwer erziehbarer Jugendlicher gilt und seiner Mutter weggenommen wird, womit die Kindheit des späteren Champs auf wenige Schlüsselmomente heruntergebrochen wird.

Als junger Mann boxt Mike Tyson (Michael Jai White) in einem Gym, wo er dem Trainer und Vormund Gus D’Amato (George C. Scott) auffällt. Der nimmt Mike bei sich auf, so wie andere junge Fighter, und erkennt das Potential des jungen Talents, dass schließlich der Olympiade der Junioren Gold erboxt. Es wird schnell klar, als was Regisseur Uli Edel („Pay the Ghost“) und Drehbuchautor Robert Johnson („Bojangles“) ihren Protagonisten sehen: Als Familienmenschen. Jemand, der den frühen Tod der leiblichen Mutter verkraften muss, jemand, der von Gus und dessen Frau adoptiert wird und sich nach der Geborgenheit eines intakten Heimes sehnt.

Doch gleichzeitig ist es auch die Geschichte des aufstrebenden Talents, das als Profi jüngster Schwergewichtsweltmeister wird und sich in den Rängen nach oben boxt. Und auf dem Weg zum Fall ist, auf den die Eingangsszene bei Tysons Gerichtsverhandlung hinweist…

httpv://www.youtube.com/watch?v=EvmkH095Hw4

Die Leistung eines Biopics besteht ja meist darin etwas mehr über die dargestellte Person zu erzählen als die nüchternen Fakten, gerade wenn die Eckdaten eigentlich bekannt sind. Diesen Weg geht auch die HBO-Produktion, die eine Interpretation Mike Tysons als ambivalente Person vorlegt. Einerseits der lispelnde, etwas schüchterne Mensch mit Familienbezug, andrerseits Vernichter im Ring, der auch außerhalb des Seilgevierts Probleme mit der Aggressionskontrolle hat. Tyson wird nicht idealisiert, sein Handeln nicht entschuldigt, aber es wird jemand entworfen, der vielleicht gar nicht bereit für den Ruhm ist. Jemand, der unter dem Verlust seiner Mutter und später seiner Mentoren leidet, der sich aber auch schnell etwas einflüstern lässt. Jemand, der kaum damit klarkommt, dass er urplötzlich seine (vermeintliche) Traumfrau, die Schauspielerin Robin Givens (Kristen Wilson), im Fernsehen sehen kann, sie direkt anrufen und um ein Date bitten. Michael Jai White („Dragged Across Concrete“) bringt nicht nur die nötigen Kampfkunstkenntnisse für die Rolle mit, sondern leistet auch schauspielerisch gute Arbeit als zerrissener Mann zwischen Wutanfall und Suche nach Geborgenheit.

Eindeutiger werden da Robin Givens und Promoter Don King (Paul Winfield) gezeichnet. King als halbseidener wie großmäuliger Schmierlappen, der Tyson mit dubiosen Mitteln anheuert, Givens als Goldgräberin, die eine Schwangerschaft vortäuscht, sich in Tysons Geschäfte hineindrängelt und ihn von seinen alten Freunden entfremdet, damit er bei King unterschreibt. Das mag einseitiger sein, ist aber teilweise von Fakten gedeckt: Das Fernseh-Interview, in dem Givens ihren damaligen Ehemann Tyson quasi live den Wölfen zum Fraß vorwarf, gab es wirklich, die Geschichte der vorgetäuschten Schwangerschaft und vorgetäuschten Fehlgeburt wird von einigen Quellen auch als wahrheitsgetreu eingestuft. Es ist aber ein merklicher Kontrast zur nuancierten Zeichnung Tysons, dessen wiederholtes Fehlverhalten nicht nur ihn in den Knast bringt, sondern etwa auch einen Jugendfreund dazu bringt, ihn mit der Waffe zu bedrohen, weshalb dieser seinen Platz bei Gus zu verlieren. Oder zu jenem bittersüßen Moment führt, in dem Trainer Kevin Rooney (Clark Gregg) seinen Schützling zum Sieg über Michael Spinks führt, nur im Moment des Triumphes zu erfahren, dass er gefeuert wurde.

Inszenatorisch wird „Tyson“ dem Credo „It’s not TV. It’s HBO“ nicht ganz gerecht, denn trotz des kinoerfahrenen Regisseurs sieht das Ganze schon ziemlich nach Fernsehen aus und dürfte auch nicht das üppigste Budget gehabt haben. Immerhin ist das Cast ziemlich erlesen, mit George C. Scott („Der Feuerteufel“) als größerem Namen zur damaligen Zeit, sonst mit talentierten Newcomern besetzt. Vor allem Clark Gregg („Captain Marvel“) als engagierter Trainer Kevin Rooney, der sich auch nicht von Tysons Ruhm einschüchtern lässt, Paul Winfield („Cliffhanger“) als großmäuliger Don King, Malcolm Jamal-Warner („Sons of Anarchy“) als Jugendfreund Tysons und Holt McCallany („Jack Reacher – Kein Weg zurück“) als verstoßener Kumpel hinterlassen Eindruck. Kristen Wilson („Dungeons and Dragons“) macht das Beste aus der bitchig angelegten Givens-Rolle, in größeren Parts sieht man die bekannten Gesichter von James Sikking („Ein Richter sieht rot“) und Tony Lo Blanco („Endangered Species“).

Als Boxerfilm setzt „Tyson“ nur punktuell auf Action im Ring, bebildert aber einige von Tysons von wichtigsten Kämpfen, etwa den Sensationssieg über Trevor Berbick oder unerwartete Niederlage gegen James ‘Buster‘ Douglas. Inszenatorisch wählt Edel weniger das Pathos und die Action der „Rocky“-Saga noch die etwas verfremdete Kampfpräsentation von „Wie ein wilder Stier“, sondern setzt auf nüchternen Realismus. Die Kämpfe sind ihren realen Vorbildern nachempfunden (die oft bei HBO im Pay-TV zu sehen waren), profitieren von den Box-Fähigkeiten des Hauptdarstellers und lassen die Dramatik der Ringschlachten Tysons auf realistische Weise aufleben. Aber es sind nur kurze Momente, ansonsten verschreibt der Film sich eben vor allem der Biographie Tysons.

Und damit bekommt er es auch mit den üblichen Fallstricken eines Biopics zu tun. Die Jahre von Tysons Jugend bis zur Verurteilung bieten so viel Stoff, dass es immer wieder Lücken und Sprünge von Lebensereignis zu Lebensereignis gibt. So gelingt „Tyson“ zwar durchaus ein Bild seines Protagonisten, das aber immer irgendwie nur privat erscheint – seine nicht ganz unwichtige Karriere erscheint manchmal als etwas, das ihm eben passiert, von seinen Freunden und Förderern angeschoben wird, während er einfach nur boxt. Zudem wirkt manche Episode etwas kurz, auch ohne Haltung zum Geschehen – gerade die Vergewaltigung, derer Tyson schuldig gesprochen wurde und die quasi den Endpunkt des Films markiert, wird nur in Ansätzen thematisiert. Es mag pietätvoll sein die Sache nicht explizit zu zeigen, jedoch versucht „Tyson“ noch nicht einmal die Beweggründe seines Protagonisten zu beleuchten oder Stellung zu der Tat zu beziehen.

So ist Uli Edels „Tyson“ zwar ein mehr als solides TV-Biopic, das mit starker Besetzung, realistischen Boxszenen und einer Interpretation der Persona des Protagonisten aufwarten kann. Allerdings hätte ein schärferer Fokus gut getan, da Uli Edels Film oft nur die wichtigsten Stationen in Tysons Karriere abhakt und diese Ereignisse nicht immer gut mit der Zeichnung des Menschen dahinter verbindet. Insofern mehr als solide Biopic-Kost, die aber mit den genretypischen Schwächen weniger umgeht als etwa „Walk the Line“.

„Tyson“ ist in Deutschland nur auf VHS bei Warner erschienen und ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. Auf DVD gibt es die HBO-Produktion in Großbritannien.

© Nils Bothmann (McClane)

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