Originaltitel: Incroyable mais vrai__Herstellungsland: Frankreich__Erscheinungsjahr: 2022__Regie: Quentin Dupieux__Darsteller: Alain Chabat, Léa Drucker, Benoît Magimel, Anaïs Demoustier, Nagisa Morimoto, Lena Lapres, Grégoire Bonnet, Roxane Arnal, Marie-Christine Orry, Stéphane Pezerat, Mikaël Halimi u.a. |
„Wie zum Teufel soll das möglich sein?“, fragen die potenziellen Hauskäufer den Makler stirnrunzelnd, als der ihnen ein besonderes Extra im Keller präsentiert, das jeglichen physikalischen Gesetzen widerspricht. In der Tat eine Frage, die man in den Filmwelten von Quentin Dupieux (“Eine Fliege kommt selten allein“) öfter mal stellen kann. Reagieren kann der Réalisateur darauf im Grunde immer nur mit dem gleichen Schulterzucken. Da ist er doch recht pragmatisch veranlagt. Der Titel seines zehnten Films ist somit auch gleich eine passende Antwort: „Unglaublich, aber wahr“. Oder, um es mit Peter Lustig zu paraphrasieren: „Klingt komisch, is aber so“.
Bei Quentin Dupieux ist die Idee grundsätzlich immer größer als der Film. Kommen wir doch noch einmal zu den Hauskäufern zurück. Alain Chabat (“Valerian – Stadt der tausend Planeten“) und Léa Drucker, dazu noch Benoît Magimel und Anais Demoustier als Nebendarsteller und ein abgelegenes Haus, das genügt Dupieux auch schon, um seine Idee zu Garn zu flechten. Erst recht zu Beginn der 2020er. Wir befinden uns schließlich mitten in der Covid-Pandemie. Zum Glück ist Dupieux ohnehin absoluter Minimalist. Er hat also seine vier zentralen Figuren, er hat sein Keyboard für den Soundtrack, und dann hat er dieses Haus im Grünen. Alles, was er darüber hinaus braucht, ist ein Kanalloch im Boden des Kellers und eine Trittleiter an der Wand im oberen Stockwerk. Der Rest ist Schnitt, Montage, Behauptung und Lewis-Carroll-Fantasie, oder nennen wir es die Bereitschaft, jegliche Logik auszuklammern und auf das Absurde zu vertrauen.
Weshalb der Makler dieses Haus anbietet wie jedes andere auch, oder weshalb sich später die Handwerker das Loch offenbar nicht genau anschauen, als sie mit dem Betonrührer anrücken, das sind Fragen aus einer rationalen Welt, Fragen also, die Dupieux nicht tangieren, würde die Klärung solcher Sachverhalte doch nichts zur eigentlichen Grundidee beitragen und die perfekt zugeschnittene Schablone bloß zu einer unförmigen Wolke aufplustern. Dem Zuschauer wird abverlangt, den Titel zu leben, die unglaublichen Fakten des Films also bedingungslos anzuerkennen, selbst wenn der Konstrukteur zu faul ist, die Funktionsweisen physikalisch zu erklären. Sonst wird das schon mal nichts.
„Unglaublich, aber wahr“ ist also mal wieder eine Unmögliche Figur von einem Film, eine unbewiesene Behauptung, trocken wie ein Furz an einem lauen Sommerabend, aber bei der Suche nach einem emotionalen Zugang könnte helfen, dass sich Dupieux diesmal ein überaus greifbares Thema ausgesucht hat: Das Altern und die Zeit.
Ähnlich wie Junta Yamaguchi in seinem Zeitschleifen-Experiment „Beyond the Infinite Two Minutes“ (2020), bei dem es sich ebenfalls um ein aufs Nötigste reduziertes Kind der Covid-Pandemie handelte, entwirft Dupieux ein Regelwerk rund um eine Zeit-Anomalie, um anschließend zu beobachten, wie seine Protagonisten darauf reagieren. Die Eigenschaften dieses Regelwerks führen letztlich zu einer Abhandlung über den menschlichen Drang zum Eskapismus aus dem Hier und Jetzt und der schwindenden Bindung zum eigenen Körper. Unterstützt wird die Haupthandlung um das Loch im Boden dabei von einem Nebenplot um die von Benoît Magimel gespielte Figur des Freundes und Chefs von Alain Chabat, in dem auf äußerst bizarre Art das wissenschaftliche Feld der Entwicklung bionischer Prothesen angeschnitten wird, wiederum präsentiert mit der trockenen Selbstverständlichkeit des Mach- und Kontrollierbaren, die der digitalen Generation mehr als allen anderen zuvor anzuhängen scheint. Männlicher Potenzwahn und weibliche Eitelkeit sind gleichermaßen Ziel dieser Satire, der es viel zu leicht zu fallen scheint, beides mit nur wenigen Handgriffen zu demontieren, um am Ende eine friedliche Idylle zurückzulassen.
Dupieux-typisch gerät der Aufbau vieler Szenen dabei zutiefst unbefriedigend, als habe nicht genug Zeit zur Verfügung gestanden, die jeweiligen Rohentwürfe final auszuarbeiten. Insbesondere zwischen den eigentlichen Szenen scheint immer wieder etwas zu fehlen, um einen organischen Fluss zu erzeugen. Die verwendete Symbolik ist allerdings auf den Punkt (der Schießstand als Revier selbstzerstörerischer Männlichkeit, der Apfel als Zeichen saisonaler Fruchtbarkeit, die aus dem Handteller brechende Ameise vielleicht als Gehilfe der Natur, um organische Materie wieder in ihren Ursprungszustand zu versetzen… oder aber einfach als konkreter Verweis auf Salvador Dalís “Ein andalusischer Hund”, der sich mitunter jeglichem Symbolismus verwehrte) und manche der Nebenschauplätze schräg genug, dass sie als gewollt plakatives Comic-Vergnügen durchgehen, was insbesondere für den Exkurs um eine japanische Klinik gilt.
Darüber hinaus bekommt man auch wieder einige formale Kunststücke zu sehen. Gleich zu Beginn gibt eine zeitlich verwobene Parallelmontage (vor dem Kauf – nach dem Kauf) schon mal einen Vorgeschmack auf das Thema des Films, doch das Sahnestück bewahrt sich Dupieux als Vorbereitung auf den Finalakt vor: Hier liefert er nämlich eine weitere Montage, eine der besten seiner Karriere womöglich. Sie übernimmt für mehrere Minuten das Erzählen, während die Dialoge auf Null zurückfahren und der Keyboard-Soundtrack auf 100 aufgedreht wird. Hier spürt man regelrecht, wie die Zeit flieht und sich Existenzen wie Kaugummiblasen aufblähen oder zusammenziehen. Auch was visuelle Effekte angeht, wirken die Bilder in der Erinnerung wesentlich unscheinbarer als sie eigentlich sind: Ein ziemlich heftiger Auto-Überschlag ist immerhin mit dabei, und die Alterungs- bzw. Verjüngungseffekte zum Ende hin sind ebenso subtil wie überzeugend.
Fast unnötig zu erwähnen, dass auch die Darsteller wieder exakt die vom Regisseur angepeilte Schnittstelle zwischen schrullig und spröde treffen, so wie man es auch von seinen früheren Filmen kennt. Léa Drucker etwa eifert bei der Besessenheit ihrer Figur nicht etwa den Grimassen eines Gollum nach, sondern legt sie eher als Persiflage auf alte, reiche Frauen an, deren gottgegebenes Recht es ist, ihre Privilegien zu nutzen, während Alain Chabat an ihrer Seite still und leise resigniert, ohne sich der Verzweiflung eines HB-Männchens hinzugeben. Ein solches spielt vielmehr Benoît Magimel mit Begeisterung. Lediglich Anais Demoustier bleibt ein wenig blass, was allerdings vor allem ihrer Rolle geschuldet ist.
Wieder mal fehlt der Feinschliff, um „Unglaublich, aber wahr“ wahrhaft unglaublich geraten zu lassen. Und doch ist es da wieder gelungen, einen Rohdiamanten von beachtlichem Karat zu bergen. Die Prämisse zündet, die Darsteller liefern, der minimalistische Rahmen liefert das geeignete Biotop, um die Grundidee zu voller Blüte reifen zu lassen. Dass das nie so ganz geschieht, ist womöglich dem Arbeitsethos des Regisseurs geschuldet, der in Gedanken vermutlich immer schon beim nächsten Film ist, weil seine Ideen ihn nicht in Ruhe lassen. Deswegen wird es vielleicht nie das große Quentin-Dupieux-Meisterwerk geben. Wenn man im Gegenzug noch viele dieser spannenden Konzeptentwürfe bekommt, kann man damit wohl leben.
Schaut in den Trailer zu “Unglaublich, aber wahr”
„Unglaublich, aber wahr“ feierte seine deutsche Premiere im Februar 2022 auf der Berlinale. Nicht ganz so unglaublich, aber wahr ist, dass die frankobelgische Produktion zwar regulär in den französischen Kinos lief, aber nicht in den deutschen Kinos. Wer nicht gerade selbst auf der Berlinale war, musste auf die TV-Ausstrahlung bei Arte warten, die am 14. August 2024 stattfand. Anschließend konnte man den Film noch bis Anfang September in der Arte-Mediathek streamen.
Von einer hiesigen Veröffentlichung auf einem physischen Medium ist bislang nichts bekannt. Wer eine Blu-ray haben möchte, muss schon im Ausland zugreifen. Über das britische Label Arrow Films erschien Ende 2022 eine Edition, die in der Erstauflage mit Schuber, Poster und Booklet ausgestattet war. Unter den Extras befindet sich ein Interview mit Alain Chabat, Benoît Magimel und Quentin Dupieux sowie eine Würdigung der Filme von Quentin Dupieux von Filmkritikerin Elena Lazic. Der Hauptfilm liegt hier im französischen Originalton (wahlweise 5.1 oder 2.0) mit optionalen englischen Untertiteln vor.
Sascha Ganser (Vince)
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