Originaltitel: Virus__Herstellungsland: Indien__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Aashiq Abu__Darsteller: Parvathy Thiruvothu, Kunchacko Boban, Tovino Thomas, Indrajith Sukumaran, Revathy, Poornima Indrajith, Basil Joseph, Soubin Shahir, Sreenath Bhasi u.a. |
Das Nipah-Virus kommt vorwiegend in Asien vor, wird durch Kontakt mit Körperflüssigkeiten und Körperausscheidungen infizierter Menschen und Tiere übertragen und hat eine hohe Sterblichkeitsrate, da es beim Menschen eine häufig tödlich verlaufende Gehirnentzündung auslöst. 2001 und 2007 gab es in Indien bereits Ausbrüche des Nipah-Virus. Der folgenreichste ereignete sich jedoch 2018, als Infektionen mit dem Virus in dem indischen Bundesstaat Kerala nachgewiesen wurden.
17 Menschenleben forderte der Ausbruch. Der indische Film „Virus“ zeichnet die dramatischen Ereignisse nach und macht vor allem eines deutlich: 2018 ist Indien glimpflich davongekommen. Mehr noch: Nachträglich können wir nur froh sein, dass das die Welt in Atem gehalten habende Corona-Virus nicht annähernd die Mortalitätsrate hatte wie etwa das Nipah-Virus. Gerade die Nähe zu den Ereignissen rund um die Corona-Pandemie pusht „Virus“ zusätzlich, denn viele im Film transportierte Bilder wirken beinahe unerträglich vertraut.
Lockdowns, Masken, Nachverfolgung von Infektionswegen, Verschwörungstheorien, die Tatsache, dass die ursprüngliche Quelle der Infektion unbekannt ist, der Glaube an einen Terroranschlag, das nicht Vorhandensein eines Gegenmittels und die ständige Angst vor einer Ansteckung sind allgegenwärtige Elemente in „Virus“. Auch dass ein solches Virus die Kraft hat, Gesellschaften zu spalten, wird offen thematisiert. Dabei gibt sich der indische Film in keinster Weise reißerisch. Und nein, obschon der Film aus Indien kommt, gibt es keine Musical-Nummern.
Spannender Viren-Thrill aus Indien
Stattdessen dominiert eine sachliche, sich weitgehend beinahe dokumentarisch anfühlende Schilderung, die mit der Herangehensweise an das Thema durch Steven Soderbergh bei seinem Streifen „Contagion“ zu vergleichen ist. In schnell verfliegenden 150 Minuten werden zunächst einige wichtige Charaktere kurz eingeführt. Dabei handelt es sich überwiegend um Menschen, die im medizinischen Sektor tätig sind.
Beinahe beiläufig landen Patienten in deren Krankenbetten, die eigenartige Symptome aufweisen. Unabhängig voneinander denken die Mediziner zunächst an das Dengue-Fieber, doch sämtliche Tests widerlegen dies. Die Obduktion des ersten Todesopfers trifft sämtliche Figuren ins Mark: Es handelt sich um einen Ausbruch des Nipah-Virus. Expertenstäbe werden zusammengerufen. Der Ausbruch muss klein gehalten werden. Die Bevölkerung muss beruhigt werden. Und vor allem muss das Gesundheitssystem aufrecht erhalten bleiben.
Von Krankenwagenfahrern über Schwestern bis hin zu Ärzten reicht die Palette derer, deren Sorgen um die eigene Gesundheit und die ihrer Angehörigen beschwichtigt werden müssen. Schwierig wird es, als Krematorien sich weigern, die Leichen der Infizierten zu verbrennnen. Was an sich bereits prekär ist, da eine Einäscherung für bestimmte Bevölkerungsteile des Bundesstaates nicht mit deren religiösen Ansichten in Einklang zu bringen ist.
Immer mal wieder gönnen sich Regie und Drehbuch kleine Einschübe, die von dem sachlichen Ansatz weggehen. Wenn Familienmitglieder der Hauptfiguren sterben oder mancher Protagonist sich selbst dafür verurteilt, die Krankheit an Bekannte, Verwandte oder Freunde weitergegeben zu haben, wird es immer mal wieder punktuell emotional. Was erstaunlich gut funktioniert und sich mit der sachlichen Herangehensweise ans Sujet wenig bis gar nicht beißt.
Ist die Grundsituation dann etabliert und haben es alle Figuren geschafft, sich in ihre neuen Rollen einzufinden und zu funktionieren, ändert „Virus“ ein wenig seinen Fokus. Es wird für die Dramaturgie nun unabdingbar, zu belegen, dass die Erstinfizierten derart miteinander verknüpft waren, dass man einen weiteren Infektionsherd ausschließen kann. Wobei ein zweiter Infektionsherd einer Katastrophe gleich käme. Der Film wird nun zu einer spannenden Spurensuche beziehungsweise zu einem intensiven Puzzlespiel, dessen Lücken den Zuschauer immer wieder an den Fingernägeln knabbern lassen.
Leider geht „Virus“ in seinem letzten Drittel ein wenig der Fokus auf die noch immer wütende Krankheit verloren. Plötzlich scheint es egal, was aus den Infizierten wird. Immerhin arbeitet im Film niemand an einem Heilmittel. Und dass ein im Film nur kurz erwähntes Behandlungsmittel aus Australien, das eigentlich nicht auf das Nipah-Virus ausgelegt war, große Teile der damals Infizierten rettete, wird erstaunlicherweise kaum gewürdigt.
Das sind kleine Nachlässigkeiten, die dem großen Ganzen allerdings nicht schaden. „Virus“ bleibt durchweg dramaturgisch sehr dicht und spannend, auch ohne große Spektakelbilder, ohne CGIs von fliegenden Viren oder irgendwelchen Fieswichten, die alles zu sabotieren versuchen. Diese Realitätsnähe dominiert auch die technische Umsetzung. Diese arbeitet mit klaren Bildern, wirkt vollkommen unaufgeregt und unterstreicht nur den beinahe dokumentarischen Ansatz des Streifens. Das wichtigste an „Virus“ sind nämlich keine optischen Kapriolen, sondern die zahlreichen Dialoge.
Das verschafft vor allem dem Soundtrack-Maestro Sushin Shyam viele Möglichkeiten zum Glänzen, denn der verpasst den nüchternen Bildern mit Dialogen voller Sprengkraft noch einmal zusätzlichen Drive. Seine spannungsfördernde Musik unterstreicht gekonnt die intensivsten Szenen und macht die letzte Stunde zur astreinen Thriller-Unterhaltung – obschon sich weder optisch noch tempomäßig irgendetwas an den gebotenen Bildern ändert. Klasse.
Darstellerisch gibt „Virus“ keinerlei Grund zum Klagen. Weder gibt es Overacting noch seltsamen Humor. Die Schauspieler agieren allesamt passig zu dem dokumentarischen Ansatz. Allerdings muss ich ehrlich zugeben, dass ich alleine aufgrund der großen Anzahl an wirklich sehr ähnlich aussehenden Kernfiguren, sowohl bei den Damen als auch bei den Herren, teils große Probleme hatte, die Charaktere auseinanderzuhalten.
„Virus“ bietet ansteckende Spannung
„Virus“ erschien ein Jahr nach den Ereignissen in Kerala. Vermutlich noch stark geprägt von den tatsächlichen Ereignissen, zeichnet Regisseur Aashiq Abu nun kein dystopisches Bild voller Verheerungen oder eine actionpralle Antikörpersuche im „Outbreak“-Stil. Stattdessen feiert er im nüchternen Erzählduktus mit wenigen emotionaleren und spannungsgetriebenen Ausbrechern die Wissenschaftler und Mediziner, die dabei halfen, eine humanitäre Katastrophe in dem Bundesstaat zu verhindern. Und das hat, vor allem auch unter dem Eindruck der Corona-Pandemie, einen enormen Impact, der einen für zweieinhalb Stunden nicht vom Fernseher wegsehen lässt.
Kleine Abzüge gibt es in B-Note. Eine echte Hauptfigur, die den Zuschauer durch den Film leitet, hätte bei dem umfangreichen Figuren-Karussell geholfen. Und so spannend die finale Spurensuche nach weiteren möglichen Infektionsherden auch sein mag, sie ist gefühlt zu lang und in Abschnitten repetitiv. Hier hätte etwas Straffung sicherlich für einen noch spannenderen Gesamteindruck gesorgt.
Die Busch Media Group veröffentlicht den Film am 28. April 2023 auf DVD und Blu-ray. Ungeschnitten mit einer FSK 16 Freigabe.
In diesem Sinne:
freeman
Was hältst du von dem Film?
Zur Filmdiskussion bei Liquid-Love
Copyright aller Filmbilder/Label: Busch Media Group__Freigabe: FSK 16__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Ja/Ja |