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We Die Young

Originaltitel: We Die Young__Herstellungsland: USA/Bulgarien__Erscheinungsjahr: 2019__Regie: Lior Geller__Darsteller: Jean-Claude Van Damme, Elijah Rodriguez, David Castañeda, Nicholas Sean Johnny, Charlie MacGechan, Kerry Bennett, Jacob Scipio, Joana Metrass, Joseph Long, Uriel Emil u.a.
We Die Young

In Lior Gellers Actiondrama “We Die Young” zeigt sich Jean-Claude van Damme mehr als Schauspieler denn als reiner Actionstar

Ähnlich wie etwa Clint Eastwood und Sylvester Stallone thematisiert Jean-Claude van Damme das eigene Älterwerden in seinen Filmen, gibt nicht mehr einfach den jugendlich-unbesiegbaren Haudrauf, sondern nimmt lieber gesetztere Rollen an, die oft mehr Schauspiel und weniger Körpereinsatz fordern. Nach „The Bouncer“ geht auch „We Die Young“ in diese Richtung.

Das Actiondrama des iraelisch-amerikanischen Drehbuchautors und Regisseurs Lior Geller greift ein tagesaktuelles heißes Eisen auf: Das Treiben der lateinamerikanischen Gang MS-13. Zu dieser gehört auch Lucas (Elijah Rodriguez), der 14-jährige Protagonist und Off-Erzähler des Films, der mit seinem Fahrrad durch die weniger schönen Viertel Washingtons kurvt, Botengänge erledigt und Drogen verkauft. Er erzählt davon, dass die Gang unweit des Weißen Hauses die Straße kontrolliert, angeführt von Rincon (David Castañeda), zu dem Lucas einen besonderen Draht hat, der Rincons Cousin und Vollstrecker Jester (Charlie MacGechan) nicht passt. Waisenkind Lucas führt das Gangsterleben seinem kleinen Bruder Miguel (Nicholas Sean Johnny) zuliebe. Der Zuschauer lernt dabei ein wenig über die innere Struktur von MS-13, die sich aber nicht von denen anderer Gangs unterscheidet: Kleindealer verkaufen Drogen, Gangsoldaten beschützen das Geschäft und die Bosse regieren mit eiserner Hand.

Zu Lucas‘ Kunden zählt auch der Ex-Soldat und Automechaniker Daniel (Jean-Claude van Damme), der sich auf illegalem Wege zusätzliche Schmerzmittel zur Bekämpfung von PTSD besorgt. Daniel wird immer wieder von Flashbacks an einen traumatischen Einsatz in Afghanistan gequält, bleibt aber dann trotz der Besetzung eher eine wichtige Nebenfigur: Natürlich ist „We Die Young“ zu einem gewissen Grad um seinen Star van Damme gestrickt, doch die eigentliche Hauptfigur ist Lucas, dessen Geschichte und Entwicklung im Mittelpunkt stehen. Daniel, der im Krieg seinen Kehlkopf verlor und nur noch via Sprachnachricht Laute kommunizieren kann, steht ihm dabei bei, mehr auch nicht.

Als Rincon Lucas zu einem wichtigen Deal schickt, läuft alles aus den Fugen: Da Jester und andere MS-13-Mitglieder auch Miguel in die Gang aufnehmen wollen, will Lucas mit seinem kleinen Bruder abhauen, um ihm dieses Leben zu ersparen. Da er noch die wichtige Fracht im Gepäck hat, macht die Gang Jagd auf ihn, wobei er den Weg von Daniel kreuzt, der den Brüdern hilft…

httpv://www.youtube.com/watch?v=hzvVkHqQmFA

Wer einen reinen Actionreißer im Gangmilieu erwartet, der schaut bei „We Die Young“ in die Röhre, wer van Damme ballernd wie in „Harte Ziele“ oder kickend wie in „Bloodsport“ erwartet ebenfalls. Sein traumatisierter Veteran agiert in einer Auto-gegen-Motorrad-Jagd und hat einen eher klein skalierten, relativ realistischen Kampf in einer Seitengasse zu bestehen, räumt aber nicht groß unter der Gang auf. Selbst im Finale erschießt Daniel zwar ein paar Leute, doch er und die Jungs geraten dabei vor allem ins Kreuzfeuer einer groß angelegten Schießerei zwischen FBI-Agenten und Gangmitgliedern. Das inszeniert Lior Geller als teilweise bewusst unübersichtliches Inferno, in das der Zuschauer zusammen mit den Hauptfiguren hineingeworfen wird, während quasi jeder auf jeden schießt. Und in genau dieses Chaos packt er dann eine kleine Plansequenz, bei der Form und Inhalt aber gut zusammengehen: In dem Moment, in dem Daniel aktiv handelt, wird auch die Kameraführung wieder etwas stetig. Allerdings übertreibt es Geller, gerade mit Blick auf den Gesamtfilm, teilweise mit dem Einsatz der wackeligen Handkamera, geführt von Ivan Vatsov („Undisputed IV“), die wohl ein authentisches Flair, eine straßennahe Atmosphäre garantieren soll, aber durch diese Prägnanz irgendwann eher als Stilmittel auffällt und manchmal auch zur Unzeit ein Gefühl von Hektik verursacht.

Dabei steht der authentische Gestus „We Die Young“ durchaus gut zu Gesicht, denn er orientiert sich – obwohl nur teilweise in Washington, sonst in Bulgarien gedreht – an Milieufilmen wie „End of Watch“, „Colors“, „Boyz N the Hood“ oder „Fresh“. Sicherlich erzählt „We Die Young“ dabei nichts sensationell Neues über Gangs und deren Wesen, das mit MS-13 zwar einen aktuellen Aufhänger, aber keinen neuen Dreh bekommt. Jedoch fühlt sich der Film im B-Movie-Rahmen doch ziemlich gut in die Welt jener Leute ein, die teilweise aus wirtschaftlicher Not in ein kriminelles Leben abrutschen, teilweise einfach nur skrupellose Sadisten sind, teilweise aussteigen wollen. Dabei bleibt Lucas die Hauptfigur als streetsmarter Teenager, der nur ein besseres Leben, vor allem für seinen Bruder, will. Ergänzt wird er aber um ebenfalls archetypische, aber durchaus glaubwürdige Randfiguren: Daniel, den Veteranen auf der Suche nach Erlösung für eine Tat, die sich erst nach und nach durch chaotisch geschnittene Flashbackszenen enthüllt. Jester, der eifersüchtige, etwas einfältige Chefhandlanger. Und Rincon, die wohl komplexeste Figur des ganzen Films. Ein Shakespeare zitierender Gangboss, der nach strengen Regeln lebt, brutal tötet und töten lässt, aber Verantwortung für Lucas fühlt und seiner gehbehinderten Schwester einen Ausweg bieten möchte, die einen jungen Mann aus Florida heiratet.

Es erweist sich dabei als durchaus kluger Schachzug des Films die gesamte Handlung um die Hochzeit in Rincons Haus zu strukturieren: Parallel dazu muss die Übergabe stattfinden, während der vom FBI beobachtete Rincon einen unauffälligen Boten braucht. Während die Handlung Lucas, Miguel und Daniel teilweise durchs Viertel folgt, sind die Geschehnisse in und um Rincons Haus ein wichtiger Ankerpunkt, zu dem der Film immer wieder zurückkehrt – dadurch wird das Geschehen räumlich und zeitlich verdichtet, was den Spannungslevel durchaus erhöht, auch wenn die Hatz im Grunde etwas formelhaft bleibt. So erfindet „We Die Young“ den Actionthriller der B-Klasse sicherlich neu, hat aber gelungene Akzente zu bieten.

Zu diesen Akzenten gehört auch die Darbietung von David Castañeda (der auch schon im erwähnten „End of Watch“ mitspielte), die fast alles überstrahlt: Er verkörpert den facettenreichen MS-13-Anführer mit unglaublicher Intensität, die ihn zum heimlichen Hauptdarsteller des Films macht. Als tatsächlicher Protagonist leistet auch Elijah Rodriguez („Sicario 2“) eine gute Performance, während sich der Rest mit brauchbarer Zuarbeit begnügen muss – bis auf Jean-Claude van Damme natürlich. Der geht den spätestens seit „Until Death“ eingeschlagenen Weg weiter, spielt einen weniger aktiven, körperlich und geistig Gebrochenen, der sich noch einmal aufraffen muss. Eine Altersrolle, in der er ohne zu sprechen auskommen muss, was er sehr gut meistert.

Insofern macht „We Die Young“ durch seine durchaus überlegte Milieuzeichnung, die Verbrechen weder entschuldigt noch einseitig als Taten von Grund auf böser Menschen verurteilt, durch seine Verdichtung und seine überzeugenden Hauptakteure durchaus Eindruck, auch wenn die Hetzjagdstory eher 08/15 ist und die auf Realismus getrimmte Inszenierung es manchmal doch etwas mit dem Kameragewackel übertreibt. Die Krawallszenen werden sparsam, aber nicht uneffektiv eingesetzt – „We Die Young“ ist als Actiondrama vielleicht nicht die große Offenbarung, aber ein Teil von van Dammes Entwicklung weg vom reinen Actionstar, auch in Low-Budget-Produktionen.

Splendid veröffentlicht „We Die Young“ ab 31. Mai 2019 hierzulande auf DVD und Blu-Ray, freigegeben ab 18 Jahren.

© Nils Bothmann (McClane)

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