Originaltitel: X-Men: Apocalypse__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 2016__Regie: Bryan Singer__Darsteller: James McAvoy, Michael Fassbender, Nicholas Hoult, Jennifer Lawrence, Oscar Isaac, Evan Peters, Rose Byrne, Sophie Turner, Tye Sheridan, Kodi Smit-McPhee, Alexandra Shipp, Ben Hardy, Lucas Till, Olivia Munn, Josh Helman, Hugh Jackman, Lana Condor, Ally Sheedy, Zeljko Ivankek, John Ottman, Stan Lee u.a. |
Nachdem „X-Men: First Class“ ein Erfolg wurde, beschloss man eine Trilogie aus dem Neuanfang der Comichelden zu machen, die sie via Zeitreise mit den alten Helden in „X-Men: Days of Future Past“ verband und nun in „X-Men: Apocalypse“ ihren Abschluss findet.
Eines der Themen, welche die beeindruckende Eingangssequenz etabliert, ist die Idee, dass sich Mutanten vor der Aufklärung als Götter anbeten ließen, ein Topos, der sich durch die Medien zieht, von der Interpretation der Großen Alten als Gottheiten bei H.P. Lovecraft bis hin zu der Auftaktszene von „Transformers 2“. Hier ist der mächtige Mutant Apocalypse (Oscar Isaac), der sich im antiken Ägypten verehren lässt, eine Leibgarde aus vier Mutanten hat, die – wie der Film später erklärt – wohl die Bibel zu den vier Reitern der Apokalypse inspiriert haben, und die Fähigkeiten anderer Mutanten aufnehmen kann. Doch Rebellen planen eine Attacke auf den ihrer Ansicht nach falschen Gott und begraben Apocalypse in einer einstürzenden Pyramide.
Die Creditsequenz ist eine virtuelle Kamerafahrt, nicht mehr durch Nervenbahnen (siehe „X-Men“ und „X-Men 2“), sondern durch die Geschichte, ehe sie in der Gegenwart des Films ankommt, im Jahr 1983, zehn Jahre nach Showdown des Vorgängers. Charles Xavier (James McAvoy) alias Professor X hat seine Schule für Mutanten etabliert und nimmt Jungmutanten wie Scott Summers (Tye Sheridan) an, der die Fähigkeit entwickelt Energiestrahlen aus seinen Augen zu schießen. Der als Terrorist gesuchte Erik Lehnsherr (Michael Fassbender) alias Magneto ist in seine Heimat Polen zurückgekehrt und lebt unter falschem Namen ein Zivilleben mit Frau und Kind. Mystique (Jennifer Lawrence) befreit derweil Mutanten, die beispielsweise bei Cagefights in Ostberlin gegeneinander antreten müssen, darunter Angel (Ben Hardy) und Nightcrawler (Kodi Smit-McPhee) alias Kurt Wagner. Überraschend zügig führt die neueste „X-Men“-Folge neue Figuren ein und erklärt, was die bekannten Charaktere derweil machen, ohne dass der Film überfrachtet wird oder man zu wenig über die Neuankömmlinge erfährt, was definitiv eine Leistung ist.
In Ägypten kommt es durch einen Zufall zum Wiedererwachen von Apocalypse, der beim Anblick der modernen Welt erst irritiert, dann zornig wird. Er plant einen Umsturz und sucht nach neuen apokalyptischen Reitern, was jedoch den anderen Mutanten nicht verborgen bleibt, welche die einzigen sind, die ihn aufhalten können…
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An einem Punkt in „X-Men: Apocalypse“ gehen die Jungmutanten in „Die Rückkehr der Jedi-Ritter“, diskutieren ihre Favoriten der „Star Wars“-Trilogie und kommen bei aller Uneinigkeit zum Schluss, dass der dritte stets der schwächste sei. Was als Augenzwinkern gen Publikum oder auch als bösartigere Anspielung auf Brett Ratners weniger geliebten „X-Men 3“ gedacht sein mag, erweist sich leider als tiefergehende Wahrheit bezüglich des aktuellen Films. Denn nach einer vielversprechenden halben Stunde, die mit den bereits erwähnten Vorzügen auftrumpft, versumpft „X-Men: Apocalypse“ mehr und mehr. Der Mutantenverehrung wird nicht mehr nachgegangen, es sei denn, man hält die unzähligen Erwähnungen von Apocalypse, dass er ein Gott sei, für irgendeine Form der Thematisierung, während die vier neuen Reiter der Apokalypse meist verschenkt werden und in erster Linie da sind, damit die Guten im Finale auch was zum Bekämpfen haben. Storms (Alexandra Shipp) Herkunft wird immerhin angerissen und sie macht eine Entwicklung durch, Angel hört bei seiner Rekrutierung passend zum Thema „The Four Horsemen“ von Metallica, während Psylocke (Olivia Munn) abgesehen vor der Showdown-Klopperei in erster Linie da ist um im hautengen Kostüm herumzustehen, was alles andere als schmeichelhaft ist.
Der wichtigste der Reiter ist der wieder zum Bösen konvertierende Magneto, der hier erneut seine Familie verliert. Das riecht nicht nur nach dem Wiederaufbereiten eines alten Dilemmas, sondern ist symptomatisch für den Film, dessen Bestandteile einem bekannt vorkommen: Wieder gibt es eine aufwändige Quicksilver-Zeitstillstand-Sequenz wie in „X-Men: Days of Future Past“, nach „X-Men: First Class“ wird eine erneute X-Men-Gründung versucht, wie bei „X-Men“ werden die Teammitglieder mit Anfang des Films eingeführt und an „X-Men 2“ erinnern die Korrumpierung von Cerebro und die zwischenzeitliche Zerstörung der Schule Xaviers. Nie fühlt sich „X-Men: Apocalypse“ homogen an, sondern immer wie ein Remix der vorangegangenen Filme, die zwar auch gern aufeinander referierten, aber eigenständige, meist durchdachte Geschichten erzählt.
Daran krankt „X-Men: Apocalypse“ leider, der sich anfühlt wie eine hundertminütige Exposition, auf die 20 Minuten Showdown und noch etwas Nachklapp folgen. Nie entwickelt der Film eine Dringlichkeit, da nach der Auferstehung von Apocalypse und der Zusammenstellung seiner Truppe fast geradewegs zum großen Finale übergegangen wird, in dem er seinen diffusen Weltveränderungsplan umsetzen will, zu dem gehört, dass Magneto alles Metall aus dem Erdboden zieht – warum auch immer. Selbst ein Scharmützel, bei der die Junghelden in die Fänge des Militärs geraten, steht weniger im Dienst des Mainplots, sondern lässt Colonel William Stryker (Josh Hellman) erneut auftauchen, kann kurz Wolverine (Hugh Jackman) in der Weapon-X-Variante wüten lassen und liefert die Basis für die Post-Credit-Sequenz, in der die Essex Corporation auftaucht, deren Bedeutung wohl nur die Comicnerds kennen. So fehlt dem Ganzen die Fallhöhe, so oft der Film auch behauptet, dass dies die größte Schlacht sei und das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel stehe, doch über ein paar anonym wirkende Bilder kurzfristig angeknackster Metropolen gehen diese Behauptungen nicht hinaus. Auch Apocalypse selbst bleibt blass: So sehr er seinen göttlichen Status betonen mag, so unklar bleibt sein Plan den größten Teil des Lebens auf der Erde auszulöschen und über den Rest (wahrscheinlich größtenteils Mutanten) zu herrschen. Und die Betonung seiner Macht erscheint rein als dramaturgischer Kniff, damit die Helden im Finale mit vereinten Kräften auf ihn einkloppen müssen.
Ein Teil von Apocalypse‘ Plänen beinhaltet das Verfrachten sämtlicher in den Atomwaffen in den Weltraum (das Warum wird bestenfalls angerissen) und reißt kurz das Klima des Kalten Krieges an, doch im Vergleich zu den Vorgänger wird die zeitliche Verortung kaum genutzt. Da steht mal ein Pacman-Automat herum, Peter Maximoff (Evan Peters) alias Quicksilver trägt ein Rush-T-Shirt, hin und wieder ist entsprechende Musik zu hören, mal hängt ein Reagan-Bild an der Wand und Mystique trägt eine Eighties-Frise, das war es auch schon. Das Schrille der 1980er wird nicht betont, die politische Lage ultrakurz angerissen und so bleibt es bei Kleinigkeiten, die „X-Men: Apocalypse“ im Jahr 1983 verorten, aber ein Aufgreifen der Ästhetik, der damals herrschenden Genres oder der Zeitgeschichte wie bei den beiden direkten Vorgängern bleibt aus. Doch auch dem Hauptthema der „X-Men“-Filme wird der neueste Streich untreu: Die Skepsis gegenüber und die Ausbeutung von Mutanten wird in wenigen Szenen angerissen (Berliner Cagefight-Club, das Schicksal von Magnetos Familie) und im Dialog ein paar Mal behauptet, aber die meiste Zeit ist davon nicht viel zu spüren. Gleichzeitig geht hier jede Subtilität verloren, jeder Gedanke und jedes Motiv muss nicht nur explizit ausgesprochen, sondern auch noch entsprechend unterstrichen werden: Wenn Magnetos Kräfte durch Apocalypse verstärkt werden, dann gipfelt die entsprechende Machtdemonstration in nicht weniger als der kompletten Zerstörung von Ausschwitz.
Dementsprechend ist auch die Action protziger als bei jedem „X-Men“-Film zuvor, aber leider auch weniger physisch. Hin und wieder gibt es mal nachvollziehbare, brauchbar choreographierte Kampfszenen (etwa Nightcrawler vs. Angel oder Psylocke vs. Beast), meist wird hier aber mit der Extraportion CGI gearbeitet, wenn Apocalypse eine Pyramide aus dem Boden stampft oder sich die Mutanten mit Blitzen, Energiestrahlen und dergleichen beharken, was leider auf die Dauer eher ermüdet als begeistert. Die Quicksilverszene hier ist leider ganz so gelungen, weil nicht so übersichtlich und so gut choreographiert, wie die in „X-Men: Days of Future Past“, aber dafür aufwändiger, exzessiver und witziger als diese und damit immer noch das Highlight von Singers Film. Hin und wieder finden sich gelungene visuelle Einfälle (etwa eine Konfrontation von Apocalypse und Xavier in der Gedankenwelt von letzterem, bei dem Apocalypse immer größer wird) im Film allgemein und den Actionszenen speziell, doch es bleiben herausragende Einzelstücke. Auffällig ist die ruppigere Gangart, die sich schon in dem Extended Cut von „The Wolverine“ und „Deadpool“ bemerkbar machte, dem nächsten „Wolverine“-Film ein R-Rating bescheren soll und hier die Grenzen des PG-13 austestet: Da werden Menschen von den Mutanten zusammengefaltet oder in Flammen gesteckt, bei Angels Transformation brechen sichtbar Knochen aus seinem Rücken und von Wolverines Schnetzeleien sieht man zumindest das Ergebnis expliziter – wirklich aufregender macht das die Action allerdings nicht.
Der große Ensemblecast hinterlässt dabei Gewinner und Verlierer. Hervor stechen vor allem Jennifer Lawrence („The Hunger Games“), deren Mystique ihre neue Rolle als Vorbild für andere Mutanten akzeptieren muss, Nicholas Hoult („Mad Max: Fury Road“), der mit nuanciertem Spiel kommuniziert wie sehr sein Hank McCoy alias Beast immer noch an Mystique hängt, und Evan Peters („The Lazarus Effect“), der mit ausgebauter Rolle und viel frechem Witz punkten kann. James McAvoy („Welcome to the Punch“) und Michael Fassbender („Prometheus“) liefern ebenfalls Gelungenes ab, ebenso Rückkehrerin Rose Byrne („Spy – Susan Cooper Undercover“), während die Neuzugänge Sophie Turner („Barely Lethal“), Kodi Smit-McPhee („Planet der Affen – Revolution“) und Tye Sheridan („Joe“) sich wacker schlagen, aber noch keine allzu großen Akzente setzen. Alexandra Shipp („Straight Outta Compton“), Olivia Munn („Erlöse uns von dem Bösen“), Ben Hardy („A Storm in the Stars“) und Lana Condor, von der man erst aus dem Presseheft, dem Abspann oder Internet erfährt, dass sie Jubilee sein soll, werden vom Drehbuch vernachlässigt und landen dabei auf der Verliererstraße, doch am schlimmsten hat es Oscar Isaac („Star Wars: Episode VII“) erwischt: Versteckt unter einem klobigen Kostüm und Tonnen von Make-Up ist seine Mimik kaum zu erkennen, was zusammen mit der schwachen Ausarbeitung seiner Figur für einen enttäuschenden Oberschurken sorgt.
Regisseur Bryan Singer („Superman Returns“) und Drehbuchautor Simon Kinberg („Sherlock Holmes“) haben in der Vergangenheit an mehreren gelungenen „X-Men“-Filmen mitgewirkt, weshalb es verwundert, dass sie ausgerechnet hier einen relativ uninspirierten Schlag ins Wasser abliefern: Das große Drama ist größtenteils nur behauptet, die Action von Ausnahmen wie der neuen Quicksilver-Sequenz meist wenig einfallsreicher CGI-Bombast und erzählerisch bietet „X-Men: Apocalypse“ fast nur Exposition für den Showdown. Dank der teilweise famosen Hauptdarsteller, einer gelungenen ersten halben Stunde und einiger einfallsreicher Momente keine Vollkatastrophe, aber insgesamt schon eine schwache Leistung.
„X-Men – Apocalypse“ startet am 19. Mai in den deutschen Kinos.
© Nils Bothmann (McClane)
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Copyright aller Filmbilder/Label: 20th Century Fox__FSK Freigabe: ab 12__Geschnitten: Nein__Blu Ray/DVD: Nein/Nein, ab 19.5.2015 in den deutschen Kinos |