Originaltitel: Awakenings__Herstellungsland: USA__Erscheinungsjahr: 1990__Regie: Penny Marshall__Darsteller: Robert De Niro, Robin Williams, Julie Kavner, Ruth Nelson, John Heard, Penelope Ann Miller, Alice Drummond, Judith Malina, Barton Heyman, George Martin, Anne Meara, Bradley Whitford, Max von Sydow, Peter Stormare, Vincent Pastore, Vin Diesel u.a. |
„Zeit des Erwachens“ trumpft mit zwei Stars in den Hauptrollen auf, war für drei Oscars nominiert (darunter Bester Film), schlug sich okay an der Kinokasse und noch besser bei der Kritik, konnte sich trotz der positiven Reaktionen aber eher wenig im kollektiven Filmgedächtnis einbrennen.
Vielleicht folgt der Film von Regisseurin Penny Marshall („Jumpin‘ Jack Flash“) und Drehbuchautor Steve Zaillian („Mission: Impossible“) auf den ersten Blick zu sehr dem Schema F für Oscar-Filme (gewissermaßen Schema O): Ein menschelndes Drama, basierend auf einer wahren Geschichte, die sich schon als Buch gut verkaufte („Awakenings“ von Oliver Sacks), mit dem Thema Krankheit bzw. Behinderung. In diesem Falle die Europäische Schlafkrankheit, deren Anfänge man in der in den 1930ern spielenden Auftaktszene bei dem jungen Leonard Lowe (Anthony J. Nici) sehen kann, der nach und nach seine motorischen Fähigkeiten verliert. Großen Respekt für das Casting: Anthony J. Nici sieht wirklich wie ein Robert De Niro im Kindesalter aus.
1969: Dr. Malcolm Sayer (Robin Williams) ist zwar Arzt, hat die letzten Jahre aber in der Forschung zugebracht. Da eine psychiatrische Klinik in der Bronx jedoch dringend Personal braucht, wird der introvertierte Idealist dennoch direkt eingestellt. Zu den Patienten gehört auch der mittlerweile erwachsene Leonard (Robert De Niro), der keinerlei Reaktionen auf seine Umwelt zeigt. Stellvertretend für das Publikum durchlebt Sayer das Entsetzen und die Fassungslosigkeit, wenn nicht ansprechbare Patienten wie Leonard eher verwaltet als wirklich behandelt werden, da man sie eh abgeschrieben hat, weil sie nicht mit dem Personal kommunizieren können.
In Sayer schlagen die Forschergene durch, als er merkt, dass die Patienten auf bestimmte Stimuli reagieren. Mit dem Medikament L-Dopa will der Arzt einen Feldversuch an den nicht Ansprechbaren starten, bekommt jedoch nur genug Budget für ein Testsubjekt. Seine Wahl fällt auf Leonard, der positiv auf die Behandlung reagiert und aus seinem katatonischen Zustand zurückkehrt…
httpv://www.youtube.com/watch?v=7exeVt7CaE4
Wie bereits erwähnt: „Zeit des Erwachens“ folgt im Grunde einer gewissen Oscar-Blaupause, die in späteren Jahren noch deutlich öfter und deutlich unsubtiler angewendet werden sollte. Mal wieder eine „unglaublich wahre Geschichte von…“, bei der man ein bisschen lachen und ein bisschen weinen kann, in der ein paar Topschauspieler die Höhe ihrer Kunst zeigen können und die ein relevantes Thema aufgreift. Allerdings auch nicht zu provokant, denn zwar ist es bis heute so, dass manche Kranken- und Pflegefälle in entsprechenden Einrichtungen eher lieblos betreut werden und Idealisten wie Dr. Sayer, die sich für echte Verbesserung der Zustände einsetzen, selten sind. Aber gleichzeitig hat man bei dieser Geschichte den Faktor Zeit als Puffer fürs Gewissen und kann sich freuen, dass 1969 schon eine Weile her ist und sowohl die Medizin als auch die Zustände in den entsprechenden Einrichtungen Schritte nach vorn getan haben.
Erfreulicherweise merkt man diese Mechanismen in „Zeit des Erwachens“ nicht so stark, sondern folgt eher interessiert einem relativ unbekannten Kapitel der Medizingeschichte. Man sieht, wie es den Patienten besser geht, wie sich ein medizinischer Erfolg einstellt, aber auch wie die vermeintliche Wunderkur ihre Tücken hat. Denn Marshalls Film ist kein Rührstück, sondern zeigt die Geschichte in all ihren Facetten, mit all ihren Höhen und Tiefen. Parallel dazu wird erfreulich unaufdringlich eine zweite Story erzählt, in der auch der schüchterne, sozial scheue Sayer ein wenig aus seinem Schneckenhaus herauskommt. Teilweise durch die Zusammenarbeit mit der Krankenschwester Eleanor Costello (Julie Kavner), teilweise aber auch durch den Kontakt zu den Patienten im Allgemeinen und Leonard im Speziellen, der zu einem seiner Freunde wird. Mancher Subplot wirkt etwas unterentwickelt, etwa Leonards Beziehung zu der jungen Paula (Penelope Ann Miller), die ihren ebenfalls katatonischen, jedoch an einer anderen Erkrankung leidenden Vater in der Einrichtung besucht.
Dabei ist es schön, dass Marshall den Stoff nicht in Schwermut taucht, sondern ihm auch seine positiven bis witzigen Seiten abgewinnt. Etwa wenn ein erster Therapieschritt feststellt, dass die in ihrem eigenen Körper gefangenen Patienten auf ihre Lieblingsmusik reagieren, man bei einem von ihnen nach der richtigen Mucke suchen muss und dann mit durchschlagendem Erfolg bei Jimmy Hendrix landet. Oder wenn Sayer auf seine sozial inkompetente Weise einen Ausflug für seine neu erwachten Schützlinge plant, diese aber eher irritiert auf seine Vorstellung von Freizeitgestaltung reagieren. Marshall beherrscht sowohl die komödiantischen als auch die dramatischen Seiten ihres Stoffs und bekommt eine stimmige Mischung hin, die sich nicht beißt oder im Ton vergreift.
Angesichts des Stoffes wenig verwunderlich ist „Zeit des Erwachens“ in erster Linie Schauspielerkino im Allgemeinen und eine Bühne für Robert De Niro („Joker“) im Speziellen. Der Star beweist mal wieder, warum er zu den Bestens seines Faches zählt, wenn er Leonard in verschiedenen Phasen der Krankheit und Genesung zeigt, glaubwürdig vermittelt, wie sich jemand fühlt, der rund 30 Jahre seines Lebens verschlafen hat und erst nach und nach die Kontrolle über seinen Körper zurückerlangt. Robin Williams („Jumanji“) erweist sich vor allem deshalb als guter Anspielpartner für Rampensau De Niro, weil er sehr zurückgenommen spielt, die großen Gesten seinem Gegenüber überlässt. Dazu kommt starker Support durch Marge-Simpson-Stimme Julie Kavner als verständnisvolle Schwester, John Heard („Last Rampage“) als skeptischer leitender Arzt und die Darsteller der anderen Patienten. Etwas weniger überzeugend wirkt Penelope Ann Miller („Das Relikt“), was aber auch daran liegen könnte, dass ihre Rolle nie so wirklich im Film ankommt. Und in einer kleinen Rolle als Pfleger ist Vin Diesel („Fast & Furious 9“) – hier mit Haaren – bei seinem ersten Leinwandauftritt zu sehen.
So ist „Zeit des Erwachens“ unterm Strich ein berührendes, phasenweise erfreulich witziges und lockeres Drama über Menschen, die sich innerlich zurückgezogen haben – durch Krankheit wie im Falle Leonards, in geringerem Maße, aber aus eigenem Antrieb im Falle Sayers. Natürlich ist der Film sehr um die Powerhouse-Performance von De Niro gebaut und bisweilen etwas brave Drama-Standard, aber auch von einem melodramatischen Rührstück zum Glück weit entfernt und auch als potentielle Oscar-Ware nicht allzu schlimm kalkuliert.
„Zeit des Erwachens“ ist bei Sony, vorher Columbia Tristar, auf DVD und Blu-Ray erschienen, ungekürzt ab 12 Jahren freigegeben. Bei den DVDs gibt es Filmographien, Trailer und eine Kurzdoku zum Films als Extras, die Blu-Ray verfügt über kein Bonusmaterial.
© Nils Bothmann (McClane)
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